Kirchweih Fröhstockheim 2014 - Halbvoll oder hableer?

Thema: "Ist das Maß halbvoll oder halbleer?"

Liebe Gemeinde,

es ist Zeit, sich einem wichtigen philosophischen Gedanken zu widmen.

Dieses findet meistens so am Abend 22 Uhr auf der Kirchweih statt, getreu nach dem Leitsatz meines Lehrpfarrers aus Lindau: die Seelsorge am Mann findet nach dem 2. Bier statt.

Ich setz mich also so an einen Tisch und ein ganz Bauernschlauer strahlt mich an und sagt:

„Grüß Gott Herr Pfarrer. Ich habe ein schwerwiegendes Problem: Sehen Sie her! Ist mein Maßkrug jetzt halbvoll oder halbleer!"

Eine im wahrsten Sinne tiefsinnige Frage. Je länger desto mehr erkannt man, was da in dem harmlosen Maßkrug für eine schwierige Frage nicht nur für den gebildeten Menschen lauert, sondern für die Weltanschauung eines jeden Menschen. Ist mein Leben nun halbvoll oder halb leer - irgendwie 50:50 aber für welche Seite entscheidest du dich?

Natürlich sind mir gleich - vor allem nach 2 Schoppen - eine Unzahl von Möglichkeiten eingefallen, linguistische, sprachliche, psychologische und sogar biblische und theologische -

Aber weil ich ja auch an einem Kirchweihfest hauptsächlich als Seelsorger unterwegs ist und die Feiern in meinem Dorf zu meinem Berufsalltag gehören, besann ich mich uralter Regeln der Gesprächsführung in der Kunst der Seelsorge und fragte zurück:

„Das kommt auf Sie an. Was meinen denn Sie?"

Da hebt er das Glas, etwas unlustig, trinkts in einem Zug aus und sagt:

„Etzat ist es auf jeden Fall leer." Und fügt enttäuscht dazu: „So ist das Leben."

Nun sagt mir ja immer der Kirchenvorstand, dass es meine Aufgabe ist, Menschen besuchen und zu trösten, auch wenn ich gar nicht so genau weiß, ob sie mich da haben wollen, aber weil er nun gar so traurig guckt, schnappe ich mir sein Glas und sage: „Ich komm gleich wieder." Ich weiß zwar nicht, ob sie mir am Tresen ein Quittung geben können, die ich bei unserem Kirchenpfleger Herrn Schenk einreichen könnte, und was ich da drauf schreiben soll: „Unterstützung Notleidender" oder „Seelsorgerliches Gespräch unter Männern und die sich dafür halten." -

Komische Gedanken - Opfer müssen gebracht werden, meine Gehaltsstufe A14 lässt auch solche dienstlichen Exzesse zu und heimlich denke ich natürlich auch an Jesu Spruch von den Maßen - Mk 6,38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; ...

Wie auch immer - schon um das interessante philosophische Gespräch fortsetzen zu können, das von der anderen Seite so schnell beendet wurde, greife ich tief in die Tasche und komme mit 2 vollen Maß zurück.

„Eine wundersame Vermehrung" - lächelt er mich glücklich an. Ich setze mich und wir beide leeren die Maß - klar - bis wir glauben, dass sie halbvoll oder halbleer ist, wischen uns den Mund ab - er rülpst ein bisschen und dann setzt er unsere Unterhaltung fort:

„Also Herr Pfarrer - sind Sie Optimist oder Pessimist - isses halbvoll oder halbleer?"

So schnell wird der Spieß umgedreht ... das kann wohl noch Stunden so weitergehen, wenn ich mich als trinkfest erweisen sollte. Er scheint auf die amerikanische Psychologin (Susan Vaughan) anzuspielen, die sich mit diesem Problem auseinander gesetzt hat. Sie sagt, dass die Sichtweise davon abhängt, ob man eher optimistisch oder pessimistisch eingestellt ist.

Der Optimist, der von jeher das Gute an einer Situation zu entdecken sucht, wird sagen: Das Glas ist halbvoll. Der Pessimist, der stets das schlimmste befürchtet, der diagnostiziert: Das Glas ist halbleer .... und es ist zu erwarten, dass bald noch weniger Bier drin sein wird als jetzt.

Ich wundere mich noch ein wenig, dass der Herr, der vor mir sitzt, psychologische Studien getrieben hat - aber Trivialpsychologie aus der BUNTEN ist immer nur die halbe Wahrheit.

Als Theologe denke ich vor allem geschichtlich und deshalb sage ich:

„Ich glaube, es kommt hauptsächlich auf Ihre Geschichte an: Wie ist das Glas in diese Lebenssituation gekommen?  Denn daraus ergibt sich auch eine bestimmte Sichtweise:

ZUM BEISPIEL

Wenn ich Dich nun aus meinem vollen Maßkrug trinken lasse, und Du trinkst mir die Hälfte in einem Zug raus, dann ist die Maß aus meiner Sicht plötzlich halbleer.

Wenn ich aber vorhin nur zwei halbe Maß geholt hätte, hätten Sie sich glücklich geschätzt:  Super, meine Maß ist wenigstens wieder halbvoll! Auch wenn der Pfarrer geizig ist.

Ich schließe messerscharf:

Die Zufriedenheit mit dem eher mittelmäßigen Inhalt des Maßkruges hängt davon ab, wie ich diesen Füllstand aus meiner Lebenssituation her einschätze, wie es dazu gekommen ist."

Liebe Gemeinde, hier ist der Maßkrug eher ein harmloses Anschauungsobjekt. Ich kann ja meine gesamten Lebensumstände genauso messen wollen. Wie hoch ist mein Pegel an Wohlstand, an Gesundheit, an Freizeit, an Freundschaften, an Liebe oder an Glück?

Die meisten von uns liegen da - gefühlt - im Mittelfeld.

-    Ich weiß, dass andere mehr verdienen als ich, und dass etliche weniger bekommen. Bis ich jetzt halb-arm oder halb-reich?

-     Meine Gesundheit hat einige Einschränkungen, ich muss häufiger zum Arzt als vor 10 Jahren. Bin ich jetzt halb-gesund oder halb-krank?

-     Mit meiner Frau gibts immer wieder mal heftige Diskussionen, manchmal wird sie richtig biestig. Aber eigentlich verstehen wir uns gut, und wollen zusammen bleiben. Ist unsere Ehe jetzt halb-gescheitert oder halb-perfekt?

-     In der Schule bewegen sich meine Noten meist rund um die drei mit kleinen Ausreißern nach oben oder unten. Bin ich jetzt halb-intelligent oder halb-dumm?

Die innere Haltung entscheidet, über meine Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit meiner Lebenssituation.

Blöd nur, dass ich je nach Stimmung die Lage mal so und dann wieder so einschätze.

Mein Gegenüber merkt, dass ich schon wieder innerlich meine Kirchweihpredigt vorbereite, wie ja jedes sinnvolle Gespräch in der Gefahr steht, am Sonntagmorgen verwertet zu werden - und er sagt:

„Also ich halts mit Mörike - (und er zitiert mit theatralischer Stimme)

Herr, schicke, was du willst,

Ein Liebes oder Leides!

Ich bin vergnügt, daß beides

Aus deinen Händen quillt.

 

Wolltest Du mit Freuden

Und wolltest mit Leiden

mich nicht überschütten!

Doch in der Mitten

Liegt holdes Bescheiden."

 

Liebe Kirchweihgemeinde,

erstaunlich - so ist Kirchweih - das Fest der Ortsgemeinde - und ich bin dankbar für die Menschen, die diesen Ort und ihre Bewohner lieben und sich eine Woche Urlaub nehmen, um alles aufzubauen - dabei ihren Spaß haben, zusammenwachsen und schließlich mir und anderen ermöglichen, auf diese Weise zusammen zu sein und sich aneinander zu freuen wie ich an dem Bildungsstand meines Sitznachbarn.

Egal ob das Zelt oder die Kirche halbleer oder halbvoll ist - ich mich halbleer oder halbvoll fühle - irgendwer wird schon kommen und diesen Zustand verändern.

Hallo dahinten - ich hätte da noch Platz in meinem Maßkrug - 

Beim Auffüllen guck ich genau auf den Strich. Bei den Schaumschlägern hier ist das gar nicht so einfach: Halb Bier halb Schaum -  (Hoffentlich ist das Bier nicht so warm wie beim Gemeindefest)

 (JETZT WIRD'S EIN CHEMISCHEN PROBLEM mit dieser Emulsion) O NO  -  lieber beweise ich mich als Bibelkenner beim Abzapfen:

 Du sollst ein volles und rechtes Gewicht und ein volles und rechtes Maß haben, auf dass dein Leben lange währe in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird. 5Mo 25,15

MASS  muss MASS bleiben! Das ist so sicher wie das bayerische Reinheitsgebot!

Ich schau genau hin - - ist es jetzt wirklich voll und weil ich so kritisch guck - schaut mich der Abzapfer ein wenig wütend an:

Na Gut: Ein wenig Angst habe ich schon vor den Worten:

DAS MASS IST VOLL - der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht.

Vielleicht wird der volle Krug leerer, denn es wird ja immer deutlicher, dass wir als Industrienationen in vielen Bereichen über unsere Verhältnisse gelebt haben, oft auch Kosten viel ärmerer und auch hilfloserer Menschen auf unserer Erde. Da erscheint es mir für uns Christen eigentlich nicht verantwortbar, immer mehr nach einem Wohlstand und Luxus zu streben, der mit der Ausbeutung und dem Leid vieler Menschen in Ostasien erkauft ist.

Die Maßstäbe im Auge behalten.  WELTWEIT.

DENN Hi 38,5 Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Richtschnur gezogen hat?

GOTT.

Ich bin froh, dass Gott nicht mittelmäßig ist sondern so wie  Jesus Im Lukasevangelium sagt:

„Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben." (Lk 6,38)

„Gebt, so wird euch gegeben". Ich soll großzügig sein. Vielleicht gar kein schlechter Tipp. Denn wer bereit ist, etwas abzugeben, der hört zugleich auf, ängstlich das Seine zu hüten, der hört, sich immer mit den anderen zu vergleichen. - In der Freigebigkeit steckt viel Freiheit drin. - Die Fortsetzung ist auch zu hören ... denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.

Und weiter!

Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben. Auch wenn es sich nicht vollständig auf den Bierkrug übertragen lässt: Die Vorstellung, dass das, was ich von Gott bekomme extra vollgemacht wird, dann wird da noch gedrückt und gerüttelt, damit möglichst viel in mein Gefäß hineinpasst. Wirklich großzügig! Ich will das als Ermunterung verstehen, mir auch etwas zu erwarten.

Ich will mir den Mut bewahren, mir von Gott auch einmal etwas Großes zu erbitten. Nicht nur mit den kleinen, sondern auch mit den großen Anliegen zu Gott zu kommen. Zu beten, dass sich tatsächlich mal etwas völlig verändert, etwas, was an ein Wunder grenzt. - --

„Herr Pfarre - was is n etz - des Glos is schon wie‘er halb läh"!

Und mein Kollege schaut mich aufmunternd an...

Jetzt fängt er schon wieder von vorne an. Sich im Kreis dreht. Wie viele Bier hat der Typ: das MASS IST VOLL. Aber Hallo!

Ich erweise mich deshalb auch als klar und prägnant formulierender Zeitgenosse, denn auch als Pfarrer bin ich ja nicht ganz blöd:

ich erkläre ihm klipp und klar, wann ein Glas nun genau halb voll oder halb leer sei. Und diese Lösung will ich Euch, geneigte Gemeinde, auch nicht vorenthalten. Sie lautet:

Wenn man ein leeres Glas halb füllt ist es halb voll.

Wenn man ein volles Glas halb leert (oder halb austrinkt), ist es halb leer.

Das war's. Ende der Debatte. Das Fest kann weitergehen

Amen