Liebe Gemeinde,
in diesen Tagen ist es gar nicht so einfach, evangelisch zu sein.
In diesen Tagen der Trauer um den Papst Johannes Paul dem II. In diesen Tagen, in denen einer der wohl größten Pilgerströme der Geschichte auf Rom stattgefunden hat, in dem Millionen, ja Milliarden katholische wie evangelische Christen und viele Andersgläubige das Geschehen auf riesigen Videoleinwänden oder auch nur zu Hause auf dem Fernseher verfolgt haben.
Am „Sonntag des Guten Hirten", nun, wo der Papst der römisch-katholischen Kirche als Gestorbener sozusagen zum Oberhirten der ganzen Welt geehrt wurde. kann auch ich als protestantischer Pfarrer nicht anders, als darüber nach zu denken.
Durch den Tod erlangt Karol Wojtila nun eine Autorität, die dem Lebenden oft nicht zugestanden wurde. Was heißt das Wort vom guten Hirten heute, jetzt, wo der Stuhl des größten Hirten aller Zeiten
Leer geworden ist? Und wir auf einen warten, von dem wir uns gar nicht vorstellen können, wie ein Mensch jemals diese Rolle, dieses Erbe antreten kann ...
Als evangelischer Christ bin ich natürlich schon irritiert, wie ein Papst eigentlich nicht beerdigt wurde, sondern unmittelbar in den Himmel gefahren wurde, wie „sanctus subito" durch die Menge gerufen wurde - heilig sofort, heilig schon jetzt.
Das hat schon eine große Anziehungskraft und als Evangelischer steht man trotz allem etwas abseits als Protestant, als einer, der dieses Amt des Papstes nicht anerkennen will und doch nicht anders kann als in dem Sog der Medien sein Haupt ehrfurchtsvoll wenigstens vor dem Menschen Johannes Paul II. und seinem Leben und Sterben zu beugen.
Wie würdig sterben sein kann, wie ein Tod alles verändern kann.
Johannes Paul der II. schien seine parkinsonsche Krankheit niemals zu beachten. Er ging immer an die Grenzen seiner Belastungsfähigkeit, und darüber hinaus, er nahm es in Kauf, auch einmal in der Öffentlichkeit zusammen zu brechen, als ein Schatten eines Menschen wenigstens zu winken. Und niemals benutzte er seine Krankheit, höchstens mit feinem Humor spielte er auf seinen Zustand an.
Dieses Verhalten erlebe ich als Seelsorger selten und ist es dieses Nichtbeachten und einfach Weitermachen, was so eindrücklich an ihm ist?
Es ist höchst eigenartig in unserer Welt, dass ein Mann im Alter von 84 Jahren diese Anerkennung erlangt in einer Zeit, die manchmal schon 50-Jährige als zu alt aussortiert und in Rente schickt.
Selbst in der Kirche werden Bischöfe mit 70 Jahren in den Ruhestand gezwungen - aber bei dem Papstamt ist es anders. Und da wird es uns Evangelischen unheimlich.
Der Papst ist der Stellvertreter Christi auf Erden.
Manchmal scheint es mir sogar, er sei Gott selbst, wie ihn sich die meisten Menschen vorstellen, als alter weißhaariger Mann, der auf einem Thron im Himmel sitzt, umgeben von Engeln, die singen und mit ihm den ewigen Gottesdienst feiern.
Manchmal schient es mir, als wäre die Welt so traurig, weil irgendwie die Anwesenheit Gottes mit Johannes Paul gestorben scheint, als wäre Gott selbst gestorben, als würde unsere Welt in Selbstmitleid versinken, weil Gott nicht mehr da ist - und wer empfindet nicht ein schlechtes Gewissen, weil er diesem Papst nicht immer geglaubt hat und sich oft über diesen alten Narren lustig gemacht hat?
Aber das mit dem Gott in den weißen Kleidern in strahlender Umgebung wollen wir ihm nicht anlasten, das sind unsere eigenen Sehnsüchte, unsere Gefühle - aber so wie Rom den Papst inszeniert hat, so nimmt die katholische Kirche dieses Missverständnis zumindest in Kauf. ...
Aber: Der Papst ist der Stellvertreter Christi auf Erden. Johannes Paul würde selbst sagen: wie wir alle. Alle Menschen sind Stellvertreter Christi auf Erden.
Und in seinem Sterben und Leiden hat er die Passion Christi in gewisser Weise nachvollzogen. Dieser Papst konnte nicht anders, als das Kreuz auf sich zu nehmen, auf das er sich immer stützte und er ging den Weg, den alle Menschen gehen müssen, er ging in den Tod und das Sterben mit einer Würde, die den Evangelienerzählungen unseres Neuen Testamentes gleichkommt. Das Sterben Christi wurde ihm zum Vorbild:
Denn der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe.
So wie Johannes Paul der II gestorben ist, so ist er für die Welt gestorben, so haben die Menschen den Eindruck bekommen, er leidet für uns, er quält sich für uns bis in den Tod, er zeigt den Sterbenden und Kranken ihre Würde, er hält aus bis zuletzt, weil Christus auch nicht in Pension gehen konnte ...
Joh 10,11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe.
So ist Johannes Paul zum Oberhirten geworden.
Es scheint, dass wir Evangelischen nun alles vergessen können: die Hirtenbriefe des Papstes, die regelmäßig für Verstimmung sorgten, die Anordnungen aus Rom, die unsere Ökumene in Deutschland zu einer MISSION IMPOSSIBLE werden lassen. Ja - der Bischofstab ist eigentlich sein Hírtenstab. Warum ist er eigentlich gekrümmt? Um die Schafe einzufange, die wegrenne wollen, der Stab erwischt den Fuß des Schafes, es fällt auf die Nase und einer guter hirte wirft das Schaf auf den Rücken. All diese Ärgerlichkeiten scheinen nun nicht mehr berechtigt, weil ein Mensch für diese Ansichten gestorben ist oder sie zumindest bis in den Tod vertreten hat.
Der Schäferhund des Hirten, Kardinal Ratzinger, der die Schafe oft genug zusammengetrieben hat, wirkt fast ratlos ohne den Hirten, wirkt irgendwie verlassen. Ob er sich zum Lamm verwandeln kann, das zur Schlachtbank getrieben wird?
Wer weiß - wir haben schon öfters eigenartige Verwandlungen erlebt und das Fernsehen gehört immer noch zu den Künsten der Illusionen.
Fest steht:
Joh 10,11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe.
Der Hirte Johannes Paul hat das verstanden. So wie sein Leben auf Christus am Kreuz zeigt, da sind wir Evangelische uns mit ihm einig.
Wir hoffen, dass der Hirte Johannes Paul auch die Stimme des Guten Hirten hört, der sein Opfer einfürallemal gebracht hat, der der Sohn des wahren Vaters ist und sagt:
Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir;28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.
29 Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen.