Antrittspredigt 11. Dezember 2005 Röm 15,4-13

Liebe Gemeinde aus Rödelsee, Fröhstockheim, aus Neustadt und Abensberg, liebe Freunde und Gäste - liebe Brüder und Schwestern - 

 

Ja – iss denn heut scho Weihnachten? möchte ich sagen, wenn ich Sie und euch alle hier sehe, Kirchenchor und Posaunenchor, die Kinder und Familien: volles Haus eben wie an Weihnachten. Aber nein – es ist nur der dritte Advent. Und das Wort für diesen Sonntag und die nächste Woche heißt: 

Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig. (Jes 40,3.10)

Meine Familie und ich sind jetzt angekommen in Rödelsee und Fröhstockheim. Viele haben geholfen vorzubereiten, haben Pfarrhaus und Pfarrgarten hergerichtet, für diesen Tag: Installiert und gesegnet, gestärkt mit vielen guten Wünschen darf ich nun diese Kanzel betreten. Bestimmt wird unsere Ankunft in Grußworten und Predigten mit dem Advent verglichen, nach der langen Wartezeit, doch ich möchte festhalten – heut ist noch nicht Weihnachten, nicht der Pfarr-herr wird begrüßt, sondern unser Herr Jesus Christus. Gemeinsam bereiten wir uns den Weg für den Advent Gottes. Gemeinsam sind wir Vorläufer für das Kommen unseres Herrn Jesus Christus.

Da ist der vorgeschriebene Predigttext gut, um uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. 

 

Hört aus dem Brief des Paulus an die Römer das Kapitel 15, die Verse 4-13                                     

15,4 Denn was zuvor geschrieben ist,

das ist uns zur Lehre geschrieben,

damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.

15,5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch,

dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander,

Christus Jesus gemäß,

15,6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt,

den Vater unseres Herrn Jesus Christus.

15,7 Darum nehmt einander an,

wie Christus euch angenommen hat

zu Gottes Lob.

 

15,13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch

mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr

immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft

des heiligen Geistes.

 

Liebe Gemeinde, was wir da gerade gehört haben, ist ein Ausschnitt aus einer Vorstellungspredigt, die Paulus nach Rom geschickt hat, um einen guten Eindruck zu machen. Paulus möchte sich empfehlen, um in Rom willkommen geheißen zu werden. Da geht es mir sogar besser wie dem Paulus – ich wurde schon herzlich willkommen geheißen, bevor jemand von Ihnen mich predigen gehört hat.

Der Römerbrief ist der einzige Brief des Paulus, den er an eine Gemeinde schickt, die er nicht selbst gegründet oder aufgebaut hat. So wie ich nun vor Ihnen stehe: ich komme aus Neustadt, wo ich historisch der erste evangelische Pfarrer war, der an diesem Ort mit seiner Familie gelebt hat und nun bin ich in Rödelsee, wo mir die Liste meiner Vorgänger seit 1523 in Sakristei schon Respekt einflösst.

Aber was Paulus hier schreibt, ohne die Gemeinde zu kennen, ist eine gewaltige Sammlung von Erkenntnissen und Gedanken, die gerade deshalb für jede Gemeindesituation, für jeden Leiter einer Gemeinde, also Pfarrer von ungeheurer Bedeutung sind: Er zeigt uns die ganze Weite christliche Solidarität und ihr Fundament und ihre Grenze.

 

15,4 Denn was zuvor geschrieben ist,

das ist uns zur Lehre geschrieben,

damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.

Was geschrieben wurde: Für Paulus war es das Gesetz, die Propheten, die Psalmen – das sog. „Alte Testament“, das eher das Erste Testament ist. Für uns ist es nun auch der Römerbrief des Paulus selbst, der zum Kanon gehört, auf den ich eben erneut verpflichtet wurde. Die Schrift ist uns zur Lehre geschrieben. Meine Aufgabe als Pfarrer ist es zuerst und vor allen anderen Aufgaben, die Schrift auszulegen, die Klarheit der Schrift leuchten zu lassen. Das ist unser evangelischer Anspruch.

Gerne übersetze ich da den gewohnten Bibeltext für die Predigt neu. Weil Worte wie Geduld und Trost schon so sehr zum gewohnten religiösen Wortschatz gehören, dass wir im Alltag damit nicht mehr viel anfangen können.

15,4 Denn was zuvor geschrieben ist,

das ist uns zur Lehre geschrieben,

damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.

 

Geduld: (upomonhz) heißt eigentlich Bleiben, standhalten, Aushalten – „darunter bleiben“:

Die Worte der Schrift lehren uns, gemeinsam unter unserer Last bleiben und nicht auszuscheren oder aufzugeben.

Paraklese: Zuspruch, Ermunterung

damit wir standhalten und durch den Zuspruch der Schrift die Hoffnung behalten.

Die Schrift ist nicht ein Steinbruch für die Kirchenlehre, sondern zuerst Mutmacher und Zuspruch für mich und für die Gemeinde. Standhalten werden wir, wenn wir den Zuspruch, den Trost der Schrift, der Bibel suchen und lesen. Im Gottesdienst, in unseren Kreisen oder auch allein zu Hause.

 

Weiter sagt Paulus:

15,5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch,

dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander,

Christus Jesus gemäß,

15,6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt,

den Vater unseres Herrn Jesus Christus.

 

Die Antwort auf die Schrift, auf den Zuspruch und den Mut, den wir aus dem Wort Gottes erhalten, kann nur ein Lobruf, ein Lobgesang sein. Die Musik eines Chores wird zum Ideal-Bild, wie Gemeinde Gottes harmonisch sich fügen kann. Es wäre ja langweilig, wenn alle nur eine Stimme singen würden: wie freuen wir uns an vielen Stimmen und den Instrumenten dazu, wenn wir nicht gegeneinander singen. Sondern miteinander und jede Stimme ihr Recht bekommt, ihren Anteil am Lob Gottes hat. Manchmal erkennen wir den Zusammenhang des Gesangs nicht, erkennen nicht gleich die Harmonie. Irgendeiner wird immer ein wenig falsch liegen – egal. Gott wird stiftet die Harmonie und wenn es 12-Ton-Musik ist. Glaubt daran!

 

15,7 Darum nehmt einander an,

wie Christus euch angenommen hat

zu Gottes Lob.

Die unterschiedlichsten Christen, damals die Judenchristen und die Heidenchristen mit wieder einer Vielzahl von Sitten und Gebräuchen auch damals schon sollen einer „annehmen“.

Was heißt „annehmen“? ich übersetze lieber: aufnehmen. proslambanw  Jemanden in seine Gemeinschaft aufnehmen, in das Haus aufnehmen. Wenn ich eingeladen werde in ein Haus zum Essen, dann fühle ich mich angenommen.

Als Pfarrer stehen mir ja viele Türen offen. Aber als ich in meinem Praxisjahr in London unter Dutzenden von Gemeinden meine Gemeinde suchte, da machte ich die verschiedensten Erfahrungen: Selbst wenn ein gemütliches Kirchencafe anschließend angeboten wurde, und ich mit der Tasse in der Hand verzweifelt Augenkontakt suchte, selbst einmal in einer Gruppe von nur 10-15 Menschen, fühlte ich mich unsichtbar und nicht wahrgenommen.

Geblieben bin ich dann ausgerechnet in der größten Gemeinde, bei der ca. 800 Menschen den Gottesdienst besuchten. Aber da war ein Willkommensteam, die haben sofort gesehen, dass ich neu war, haben mich angesprochen, sich nach mir erkundigt und mich gleich einer passenden Gruppe vorgestellt und schon war ich in einem Hauskreis und in dieser riesigen, weil gut organisierten Gemeinde aufgenommen.

Es scheint, dass wir kleinen Gemeinden uns da überraschender­weise mehr anstrengen müssen, als große: eben neue Mitglieder aufzunehmen. Die eigene Gruppe nicht dadurch zu definieren, wer nicht dazu gehört, sondern:

Die Gäste, die Durchreisenden, die Neuen, die Anderen. Nur so gibt es durch einen lebendigen Austausch zwischen den Gemeinden eine Kirche. NEHMT EINANDER AUF.

Dahinter steht auch die Bitte des Paulus an die römische Gemeinde: nehmt mich auf. Und auch meine Bitte.

Aber es ist nicht die persönliche Bitte von Paulus: alles wozu Paulus uns auffordert, hat uns Christus vorgemacht. Niemals geht es nur um die Erfüllung einer moralischen Pflicht irgendwie gut und nett zu sein.

Nehmt einander auf, wie Christus euch aufgenommen hat!

Bei Christus sind wir nicht Fremdlinge, sondern Mitbürger und Gottes Hausgenossen. Er hatte kein Haus, aber eine Gemeinschaft und er hat alle dazugeholt, die Normalos, die Armen, die Reichen, Frauen und Männer, Jugendliche und die Außenseiter. Nicht einmal Judas Iskarioth hat Jesus von seiner Tischgemeinschaft ausgeschlossen. In dieser Aufnahme, Annahme liegt in der Nussschale das Evangelium.

 

Wenn ich mir nun einen Wahlspruch für meine Aufgabe wählen darf, dann möchte ich diesen:

IN NECESSARIIS UNITAS

IN DUBIIS LIBERTAS

IN OMNIBUS CARITAS

 

Auf Deutsch heißt das etwa:

In notwendigen Dingen Einheit

In zweifelhaften Dingen Freiheit

In allen Dingen Liebe

Obwohl dieser Spruch lange Zeit Augustin zugeschrieben wurde, stammt er von dem Theologen Meldenius aus der Reformationszeit. Es ging ihm um die Einheit der Kirche.

Notwendig ist die Lehre der Schrift, zu lernen und zu lesen, zweifelhaft ist vieles Menschliche „allzumenschliches“ genannt – da brauchen wir Freiheit, um annehmen und aufnehmen zu können. Über allen Unterscheidungen von Notwendigen und Zweifelhaften schenke uns Gott die Liebe.

 

Nein, heute ist noch nicht Weihnachten. Aber dann wird Weihnachten sein:

 

15,13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch

mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr

immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft

des heiligen Geistes.

AMEN